Lateral Thinking – Querdenker und Querulanten

Wissen ist strukturiert geordnet. Ein Glied fügt sich in das andere, so entsteht ein Gerüst in dem die gegenseitige Abhängigkeit der Einzelanahmen zum Ergebnis führt. Das gilt für Wissenschaft und Organisation. Leider kommt es oft genug vor, dass sich auch falsche Einzelannahmen in ein Wissensgerüst einflechten lassen und dann zu einem Ergebnis führt,  daß entweder falsch oder suboptimal ist.

So ist es nur natürlich, dass bei gewachsenden Organisationsformen, bei standardisierten Prozessen sich Fehlfunktionen einschleichen – sei es aus Nachässigkeit oder Unver-mögen. Denn der grosse Koloss, die globale Spinne, das verwebte Forschungsprojekt wird durch standardisierte Massregeln und konkludentes Handeln geführt.

Srinivasa RamanujanKonkludentes Handeln einer grossen Aufgabe, welche Organisationsform es auch immer sei, benötigt  für jeden möglichen Prozess mehrere  Akteure und erzeugt dadurch gemeinschaftlich getragene Verantwortung. Diese aufgeteilte Verantwortung, durch an angepassten Akteur verwischt und/oder verschleiert, führt zur Routine als ultimo ratio. Ausserdem haben grosse Organisationen ein gewisses Momentum: Sie funktionieren auch ohne Invention, sie benötigen keine Verantwortungsträger. Das System pendelt sich ein, schwingt in seinem gewohnten Rythmus – alles geht seinen normalen Gang. Aber es fehlt ein importantes Gewürz in diesen Gebilden: Die Innovation, das unkonventielle  und das Querdenken – modisch nach de Bono auch “lateral thinking“ genannt, sind die Faktoren welche Organisationen am Leben erhalten. Unter den  menschlichen  Schwächen, welche wie eine antsteckende Krankheit ein Unternehmen befallen koennen, befinden sich

  • das Bestreben seinen Einflussbereich auszudehnen, mit oder ohne entsprechenden Befugnissen, was zum Überlappen von Zuständigkeiten und Abläufen führt
  • Vorteilsnahme durch interne Kenntnisse
  • Macht des Charismas

Diese Gefährdungen werden im täglichen Betrieb übersehen und akzeptiert und sind so auf dem ersten Blick nicht als Schwachstellen erkennbar. De Bonos lateral thinking ist wie folgt definiert:

Lateral thinking is solving problems through an indirect and creative approach, using reasoning that is not immediately obvious and involving ideas that may not be obtainable by using only traditional step-by-step logic“.

Das ist die Definition der englischen Wikipedia Ausgabe.  Er verbindet diese Denkweise mit Formen der Kreativität.

Kreativität aber ist spontan, sie gebiert Neues aus dem Nichts, sie ist mit dem Chaos verwandt aus dem sich explosinsartig ein Kunstwerk oder eine zündende Idee sich entwickelt.  Was sich LT[1] nennt ist aber ein gesteuerter, abrufbarer Prozess, so will es die Definition jedenfalls und kann deswegen nur wenig kreativ sein. Wegen seiner Definition aber nicht durch seine Erklärung umfasst LT das,  was man in Deutschland seit undenklicher Zeit als  „Querdenken“ bezeichnet.

Querdenken stellt ein existierndes logisches Gebäude einer Annahme in Zweifel und zwar unmittelbar und augenblicklich. Dem Querdenker „scheint“ irgend etwas nicht;  oft kann er es nicht im ersten Erkennen definieren – seine Erkenntnis ist intuitiv und stösst oft sofort auf Widerstand, stellt er doch unverrückbares Geltendes in Zweifel. Meistens ist er ein Überbringer schlechter Nachrichten.  Die Gabe Kreativität jedoch, deren Repetition das Genie gebiert, beruht auf dem genau gegengesetzten Prozess – sie schafft Neues, Einmaliges.

Querdenken erkennt in einen bestehenden, funktionierden System, welches es auch immer sei, verdeckte, falsche Annahmen oder Lösungen, welche zu alternativen Anwendungen führen können. Das ist ein intuitiver analytischer Prozess, kein kreativer – es ist eine Erkenntnis. . Weiter ist anzumerken, dass die Gabe des “querdenken” zur Kreativität führen kann. Querdenken erkennt, Kreativität löst Probleme. LT umfasst also zwei völlig unabhängige Prozesse. Wobei der Querdenker wahrscheinlicher eine Lösung  anbieten kann, als der nur Kreative, denn das Erkennen ist oft die Basis der Lösung.

Im Extrakt des Dargelegten ist „querdenken“ eine Begabung, die schwerlich erlernt werden kann. Der Querdenker findet die Spur intuitiv. Er fühlt; Unbehagen beschleicht ihn und wunderbarerweise legt er den Finger in die Wunde, wobei  er oftmals beim ersten Erkennen nicht eindeutig erklären kann was unschlüssig  ist. Oft wird seine Intuition nicht zur augenblicklichen Erkenntnis, er hat aber erkannt das ein Problem existiert.

Der grösste Querdenker wurde vor 125 Jahren in Indien geboren: Srinivasa Ramanujan,dieser rästelhafte, genialische Mathematiker, dessen Arbeiten und Ergebnisse aus dem Nichts kamen; der nur die letzten sieben Jahren seines kurzen Lebens  an einer Universität verbrachte. Noch heute fragen sich Mathematiker, wie er, ohne jede Ausbildung zu Ergebnissen kommen konnte, denen grösstensteils die wissenschaftliche Grundlage fehlte, sich aber dennoch als richtig erwiesen? Auch sei erlaubt an zwei historische Querdenker zu erinnern: Columbus und Magellan, deren beider Ruhm seine Zeit brachte.

An ihm zeigt sich der verwebte Prozess zwischen der querdenkerischen Erkenntnis und der Kreativtät . Die faktische Genialtät, jene welche sich mit Daten jedwelcher Art beschäfigt, benötigt zu ihrem “Blitz”, zwei Prozesse: Querdenken und Kreativität. Der Querdenker erkennt die optische Täuschung des geistigen Auges, against all odds. Während die künstleristische Genialität als Ganzes, Einheitliches aufbricht.

Ein angeborener Vetter des Querdenkers ist der Querulant! Ein als Querulant identifizierter Mensch ist kein Besserwisser, sondern einer, der an kleinen Problemen hängenbleibt ohne den grösseren Zusammenhang zu erkennen. Er ist meistens ein Querdenker ohne die Gabe zum Grossen. Im Gegensatz zum Besserwisser hat er eigentlich Recht, doch seine Erkenntnis ist nicht signifikant im Verhältnis zum Gesamtproblem. Er reibt sich an Peanuts auf! Seine meist unwichtigen Ergebnisse und die daraus resultierende fehlende Anerkennung macht den Querlanten zu einen ungeselligen Zeitgenossen:  Er bewegt sich im Kreis und wird immer unzufriedener und verbitterter.

So schliesst sich der Kreis. Scheint es das de Bono  alte philosophische Erkenntnisse, wie sie in Schopenhauers „Die Welt als Wille und Vorsteuung“ dargestellt sind, popular -wissenschaftlich aufbereitet und dabei die gegenseitige Abhängigkeit von Kenntnis and Lösung nicht vollständig erkannt hat?


[1]  Lateral thinking, von nun an LT

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